Monday, February 8, 2010

Nick Leeson - Vor die Wölfe

Der Spiegel 21.08.1995



In seiner Zelle kämpft Milliarden-Zocker Nick Leeson um seine Auslieferung nach Großbritannien. Die Chancen stehen schlecht.

Die britische Punk-Rockband "Bollock Brothers" plante einen Hit - Markterfolg garantiert. Den Sinatra-Song "My Way" wollten sie herausbringen, gesungen von Nick Leeson, dem Mann, der Anfang des Jahres mit seinen Spekulationen die Traditionsbank Barings ruiniert hatte.

Das Marketing-Kalkül ging auf. Die Band, auf hochdeutsch: "Hoden-Brüder", genoß ein gewaltiges Medienecho - und diesmal waren es bessere Schlagzeilen als 1987 nach einem Konzert in Hamburg, wo die Truppe eine so lausige Darbietung bot, daß die Fans sie erst mit Bierflaschen bewarfen und dann die Lautsprecheranlage abfackelten.

Das Problem bei der Plattenproduktion: Der aus Singapur geflüchtete Milliarden-Zocker Nicholas William Leeson, 28, stand für einen Besuch im Tonstudio nicht zur Verfügung. Er sitzt derzeit in Frankfurt-Höchst in Auslieferungshaft.

Per Telefon, so berichtete der Stern, habe Leeson deshalb seinen Part aufs Band eines Hamburger Tonstudios gesungen. "Die Wächter dachten übrigens, er singt seinen Kindern was vor." Und der Erlös der CD, so wußte Bild, "soll Obdachlosen zugute kommen".

Schnickschnack. "Herr Leeson hat nicht gesungen", sagt sein Londoner Anwalt Stephen Pollard.

In seiner gegenwärtigen Lage wäre für Nick Leeson nichts schädlicher, als sich auch noch mit seinen Taten zu brüsten. Der Brite, der seinem früheren Arbeitgeber einen Verlust von 827 Millionen Pfund (1,8 Milliarden Mark) bescherte, bemüht sich derzeit verzweifelt um eine Auslieferung in sein Heimatland. Nach Singapur, wo er bis zu seiner Flucht drei Jahre für Barings gearbeitet hatte, will er keinesfalls zurück.

Doch Großbritannien will den Börsenhändler nicht haben. Die Behörden sind der Ansicht, daß
(* Am 2. März auf dem Frankfurter )
(Flughafen. )


Leeson auf britischem Boden keine Straftaten begangen habe. Die Strafverfolger in Singapur dagegen sind begierig darauf, dem Jungbanker den Prozeß zu machen. "Leeson mußte als Sündenbock herhalten", befürchtet Pollard, "weil der einst saubere Finanzplatz durch ihn seinen Ruf verloren hat."

Sündenbock oder Bösewicht? Die Frage beschäftigt die Briten noch immer. Gleich vier Bücher, die in allernächster Zeit erscheinen, wollen sich der Geschichte vom Börsenyuppie, der das ganz große Rad drehte und eine altehrwürdige Londoner Bank an den Rand des Konkurses trieb, annehmen; die Verlage rechnen mit guten Geschäften.

Auch Leeson selbst will seine Version, aufgeschrieben von dem Journalisten Edward Whitley, unters Volk bringen. Die Rechte könnten ihm bis zu 500 000 Pfund bringen. Leeson braucht das Geld, um seine aufwendige Verteidigung bezahlen zu können. Er hofft aber auch auf Verständnis bei seinen Landsleuten.

"Ich bin ein ganz gewöhnlicher britischer Bürger, der einige sehr dumme Fehler gemacht hat", schrieb Leeson aus der Haft an den britischen Premierminister John Major. Wenn er nach Hause dürfe, bot er den Behörden an, werde er sich in insgesamt sieben Punkten für schuldig erklären.

In einem weiteren Brief wandte sich Leeson, der in seiner Frankfurter Zelle einen Laptop hat, direkt an die britische Öffentlichkeit. Die Behörden wollten ihn "vor die Wölfe schmeißen", klagte er. "Ich möchte nur zurück, meine Strafe absitzen und dann mein Leben weiterführen."

Verlesen wurde das Schreiben auf einer Pressekonferenz in London von Lisa Leeson, 26. Die junge Frau, selbst eine gelernte Bankerin, tourt derzeit rastlos durch britische Zeitungsredaktionen und TV-Studios, um PR für ihren Mann zu machen. "Nick ist kein Krimineller. Er hat nie Geld in die eigene Tasche gesteckt."

In Singapur hätten sie keineswegs auf großem Fuß gelebt, mit Bediensteten, Porsche und eigener Jacht, wie es die Zeitungen nach dem Zusammenbruch der Bank geschrieben hätten, versichert sie. Ohne jeden Glamour sei der Alltag in der Wirtschaftswunderstadt gewesen. Nach zwölf Stunden Arbeit habe sich der Gatte am Abend erschöpft vor die Glotze gesetzt. Und sie habe ihm dann sein Lieblingsessen serviert - "Bangers and mash", Bratwurst mit Kartoffelbrei.

Auch heute kümmert sich Lisa Leeson rührend um ihren Nick. Obwohl sie zweimal wöchentlich im Teehaus eines Onkels in Maidstone, Kent, kellnern muß, reist sie jeden Donnerstag morgen um kurz nach acht von London-Gatwick nach Frankfurt. Nachmittags um fünf geht es dann zurück, mit Schmutzwäsche ihres Mannes im Gepäck und Tränen in den Augen.

Unterdessen kämpfen Leesons Anwälte dafür, daß die junge Frau, die nun wieder bei ihren Eltern wohnt, in den kommenden Jahren nicht nach Singapur fliegen muß, wenn sie ihren Mann sehen will.

Verteidiger Pollard pocht darauf, daß Leeson seine Londoner Vorgesetzten mit gefälschten Zwischenbilanzen zur Herausgabe weiterer Millionen für die Spekulationsgeschäfte veranlaßt habe. "Der Betrug ist ganz klar in diesem Land geschehen, und hier will sich mein Mandant verantworten."

Der Anwalt hat jetzt erreicht, daß das Serious Fraud Office, die zentrale Ermittlungsbehörde bei schwerer Wirtschaftskriminalität, seinen Mandanten doch noch verhören will. Ob die Anwälte aber Leesons Auslieferung nach Singapur wirklich noch abwenden können, ist mehr als zweifelhaft.

Voraussichtlich im September wird das Oberlandesgericht Frankfurt über das 1000 Seiten umfassende Ersuchen des Stadtstaates entscheiden. Dem Gericht liegt zudem ein Bericht der deutschen Botschaft in Singapur vor, in dem das dortige Rechtssystem als fair bezeichnet wird. Die Haftbedingungen entsprächen westlichen Standards.

Angeklagt werden soll Leeson in Singapur wegen insgesamt zwölf Delikten der Urkundenfälschung, des Betrugs und der Untreue. Die maximale Gesamtstrafe beträgt 14 Jahre. "Mehr kann er dort dann auch nicht kriegen", sagt Oberstaatsanwalt Eckert, "das haben die uns schriftlich versichert."

Wenn es Leeson nicht doch noch gelingt, die britischen Behörden zu einem eigenen Auslieferungsantrag zu bewegen, ist die Bundesregierung seine letzte Hoffnung. Nach einem Auslieferungsbeschluß des Frankfurter Gerichts müßte Bonn die Überstellung nach Singapur diplomatisch bewilligen.

Wäre Leeson ein Deutscher, dürfte er nicht ausgeliefert werden. Wäre er im März nicht in Frankfurt verhaftet worden, sondern hätte damals - wie angeblich von ihm beabsichtigt - nach London weiterfliegen können, stünden seine Chancen heute besser.

Aber wegen eines jungen Briten, dessen Heimatland ihn nicht haben will, wird die Bundesregierung kaum Ärger mit der Regierung des autoritären Stadtstaats riskieren wollen.

Vorerst darf der einstige Börsenstar im Frankfurter Gefängnis noch für einige Zeit Prospekte eintüten - eine Arbeit, die ihm 4,50 Mark je 700 Stück bringt.

* Am 2. März auf dem Frankfurter Flughafen.

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